Go West

Auf der Suche nach der perfekten Welle

Tage und Wochen war Saint-Nazaire mein Ziel. Der Ort, an dem ich auf meiner Reise zum ersten Mal den Atlantik sehen werde, mein Surfbrett vom Anhänger schnalle und über die ersten Wellen surfen werde.

Mit einsetzendem Regen wurde ich vom Atlantik begrüsst. Doch das störte mich nicht weiter. Ich war froh, dass ich es soweit geschafft habe, doch gleichzeitig wusste ich, dass noch viele Kilometer vor mir lagen. Es war ein Ziel, welches das Ende und zugleich der Anfang einer Etappe war. Kein Grund zu feiern, kein Applaus, nur die Gewissheit, dass ich meine körperlichen und mentalen Grenzen noch nicht erreicht habe und ich weitergehen kann.

 

Es war Zeit, dass ich den Atlantik erreichte. Ein SUP Surfboard 1’200 Kilometer über das Land zu schleppen war irgendwie ziemlich sinnlos. Naja, ein Grund mehr es zu machen!

Am Nachmittag meiner Ankunft lichteten sich schlussendlich die Regenwolken und das Meer beruhigte sich zunehmend. Dem ersten Surf Spot konnte ich noch wiederstehen. Die Wellen waren zu chaotisch. Zum Glück, denn ich wusste, mein Körper brauchte vor allem Ruhe und Erholung und so war ich eigentlich froh gewesen, dass ich bei Regen und Wind den Atlantik erreicht hatte. Doch als dann beim nächsten Surf Spot erste kleine Wellen an den Strand rollten, war es um mich geschehen. Ich packte mein SUP und surfte meine ersten Wellen nach über 1’200 Kilometer. Kleine unscheinbare Wellen, welche für mich aber eine ganz besondere Bedeutung hatten.

 

Mit meinen müden Beinen werde ich keine Welle perfekt surfen können, doch vielleicht muss ich die perfekte Welle ja auch nur mit einem Lachen anpaddeln und wieder verlassen.

Eigentlich sollte an dieser Stelle meiner Erzählung nun der Teil kommen, bei dem ich mein Zelt irgendwo an einem menschenleeren Strand aufstelle, bei Sonnenuntergang über die Wellen gleite und am nächsten Tag meine Reise mit einem Lachen fortsetze. Freiheit und Abenteuer in seiner reinsten Form. Doch es kam anders – ganz anders.

Dünen stellten sich als unüberwindbare Mauern heraus, die ich unmöglich mit meinem Gespann bezwingen konnte. Fahrradwege, welche im Landesinnern nach Süden führten und nur durch kilometerlange Querstrassen einen Blick ans Meer zuliessen. Zusätzliche Schritte, welche ich gehen musste, nur um zu sehen, dass die Wellen zu gross, verblasen oder nicht vorhanden waren. Beine, welche mich jeden Tag über 50 Kilometer nach Süden trugen und dann beim Surfen versagten, weil die Koordination im Keller war. Kaum Erholung in den Nächten, weil der Körper vor Schmerzen und Erschöpfung keine Ruhe fand.

 

Auf die Frage, ob mir meine Reise Spass machen würde, hätte ich mit einem klaren Nein geantwortet. Doch bin ich unterwegs, um Spass zu haben?

Durchnässte Ausrüstung, verspannte Muskeln oder die Monotonie des Laufens…nein, ich brach nicht auf um Spass zu haben. Nicht das Surfen der perfekten Welle, sondern der Weg zu dieser Welle, war der eigentlich Grund, warum ich mich auf diese Suche gemacht hatte. Ich startete diese Reise, um an meine Grenzen zu gehen, mich Herausforderungen zu stellen und um mein Potential zu erkennen. Ich wollte spüren und erkennen, was es heisst, wenn mein Körper und Geist nicht auf Sparflamme lodern, sondern als Feuer entflammen. Das hat in erster Linie nichts mit Spass zu tun, sondern bedeutet viel mehr Leid und Entbehrung. Ein Weg, der mich mental und körperlich immer wieder an meine Grenzen brachte, aber gleichzeitig vor Augen führte, dass ich noch zu viel grösseren Abenteuern fähig bin, wenn ich nicht einfach dem Spass und Konsum folge, welche in unserer heutigen Welt immer einfacher zu haben sind.

 

Spass in seiner reinsten Form kann ich nur erleben, wenn ich aufstehe mir in meinen eigenen Arsch kicke und all die Träume und Wünsche erfülle, von denen ich die ganze Zeit rede.

Die Wärme der ersten Sonnenstrahlen, das Gefühl von seinem Körper Höchstleistungen abverlangen zu können oder die Meditation des Laufens…ja, ich brach auf um Spass zu haben. Doch es sind Freuden, welche sich auf eine andere Weise zeigen, wie wenn ich zu Hause von Konsum umgeben bin. Der Wechsel zwischen Entbehrung und Überfluss, der mir vor dem Betreten eines Supermarktes immer wieder vor Augen geführt wurde. Das Glück einen schönen Schlafplatz gefunden zu haben, eine kühle Erfrischung nach einem schweisstreibenden Tag oder einfach nur frei über mein Leben bestimmen zu können.

 

Ein freundliches Lachen, ein unerwartetes Zuwinken oder ein kurzes «Bonne Courage» gaben meinen Körper mehr Energie als jeder Powerriegel.

Immer wieder traf ich Mitmenschen, welche meinen Weg kreuzten, mich ein Stück begleiteten und mir mit Gesten und Worten signalisierten, dass mein Weg nicht so verkehrt sein kann. Dieser Kontakt zur Zivilisation kann auf Mikroexpeditionen sehr motivierend sein. Gleichzeitig geniesse ich aber auch das Alleinsein und die Auseinandersetzung mit meiner eigenen Gedankenwelt. Allein auf Tour gehen zu können, ist für mich eine Fähigkeit, welche ich nie mehr missen möchte. Allein zu sein wäre aber ein Zustand, den ich auf alle Fälle vermeiden möchte. Ich sehe das Leben als ein Gemälde, das ich selbst erschaffe muss. Ein Kunstwerk, das aber durch die Gesellschaft und mein näheres Umfeld mitgeprägt wird und erst so in seiner gesamten Pracht erstrahlen kann.

Meine Surf Sessions entlang der französischen Atlantikküste liessen sich nach zwei Wochen an einer Hand abzählen. Eine perfekte Welle konnte ich durch meine müden Beine nicht annähernd surfen. Doch das ist okay so. Diese Etappe lehrte mich etwas viel Wichtigeres. Abenteuer hat nichts mit Konsum zu tun. Es ist das Spiel der Leiden. Ein Kampf der ein Menschenherz ausfüllen kann.

 

Seine gesamte Reise kannst du unter www.oana.surf nachverfolgen. In regelmässigen Abständen versorgt Thomas uns mit Reiseberichten, Bildern und Videos, welche auf der Webseite und auf Facebook unter dem Hashtag #OANATRIP veröffentlicht werden. Stay tuned!

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